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  • Tilman Lingesleben

Rembrandts Spur in Dresden - Gang durch eine Installation im Residenzschloss

Allen, die es nicht mehr geschafft haben, die Ausstellung„Rembrandts Strich“ bis zum 15. September im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu besuchen, sei zumindest der wundervolle Ausstellungskatalog empfohlen.

Ausstellungshalle Kupferstich-Kabinett im Residenzschloss, SKD, Foto: Tilman Lingesleben, grafisch bearbeitet von Michael Bunge

Die Briefmarkensammlung


Die eine oder andere Kuratorin, der eine oder andere Restaurator wird ins Stolpern geraten oder sich zumindest am Kopfe kratzen, wenn sie oder er die Ausstellungshalle des Dresdener Kupferstich-Kabinetts betritt, fällt der Blick doch zunächst auf einen Leuchtkasten, der eine Briefmarkensammlung zu präsentieren scheint.

Dass Rembrandt auch im Medium der Druckgrafik außerordentlich aktiv zum Thema Selbstportrait gearbeitet hat, wissen wir. Nie zuvor aber haben wir diese im Original so nahe beieinander gesehen. 19 von ihnen haben die Ausstellungsmacher aus ihren Passepartouts gelöst und neu collagiert.

Welch Chuzpe! Der Aura des einzelnen Blattes tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil, die Blätter leuchten buchstäblich und ihre Bezüge zueinander bringen Neues zum Vorschein: Rembrandts Strich und Spur, festgehalten mit der Radiernadel über eine gute Dekade hinweg. Auf engstem Raum zu beobachten, die lebendige Arbeit am Selbst, Selbst-Erkenntnis im Prozess der künstlerischen Handschrift.

Im Zentrum dieser Montage steht die Radierung „Selbstbildnis mit aufgelegtem Arm“ von 1639 mit der Rembrandt selbstbewusst in den Wettstreit mit Raffael und Tizian tritt. Das signierte Blatt ist aus relativer Entfernung gut zu erkennen und spannt damit den Bogen zum Dresdener Doppelbildnis, „Rembrandt und Saskia im Gleichnis des verlorenen Sohnes“ von 1635, eines von zwei Gemälden der Ausstellung, die die Gemäldegalerie Alte Meister ausgeliehen hat und die uns in der Tiefe des ersten Ausstellungsraumes erwarten.

Die Ausstellung gliedert sich in fünf Abteilungen, beginnend mit der die Briefmarkensammlung umgebenden Sektion „Rembrandt selbst“, die die Rezeption dieser Selbstbefragungen mit grafischen Mitteln mit einschließt. Betrachterblicke und -beziehungen über die Zeiten hinweg, auch darum kreist die ganze Ausstellung.


Ich zeichne, also bin ich


„An Rembrandt kommt keiner vorbei“ hat Max Beckmann einmal bemerkt. Und so buchstabiert die Ausstellung Rembrandts Verhältnis zu den nachfolgenden Generationen in all ihren Abteilungen: zu den Schülern in der Werkstatt im sich anschließenden Kapitel „Rembrandt lehrt & lernt“, zu den Kollegen wie Castiglione oder van Hoogstraten, zur Aufklärung z.B. anhand von Schmidts „Selbstbildnis mit Spinne“ und einiger wunderbarer Blätter von Goya, zum 19. Jahrhundert mit Arbeiten von Manet oder Toulouse-Lautrec, zum 20. Jahrhundert anhand der Werke von Kollwitz, Penck, Picasso oder Rainer bis in unsere Tage. „Weighing … and Wanting“, William Kentridges Arbeit, die die Landnahme in Südafrika aber auch ein schwer zu balancierendes Geschlechterverhältnis im gezeichneten, animierten Filmbild thematisiert oder Madeleine Dumas‘ Körperstudien bilden in dieser Reihe den vorläufigen Abschluss. Adéla Součkovás Arbeiten im Foyer, bestehend aus Wandzeichnungen, Leuchtkästen und einem Video, sind als Auftrag für die Ausstellung entstanden und erweitern die Installationnach außen.

Immer sind es gezeichnete Auseinandersetzungen, die in Lavierungen, Linien, Schraffuren und Strichen, im Prozess der Zeichnung also, Blicke und Körper festhalten, lenken und zu sich selbst zu kommen oder im anderen zu erkennen versuchen.

Intimes Herzstück der Ausstellung ist die Abteilung „Rembrandt und Saskia“. Acht Jahre nur hatten Rembrandt und Saskia gemeinsam, bevor sie starb. Die Fülle an erhaltenen Bildern die sie, auch gemeinsam, zeigen, dokumentieren das besondere Verhältnis: Saskia in Silberstift als erkannte Jugendliebe; komödiantisch im gemalten Doppelbildnis zum Gleichnis des verlorenen Sohnes; im radierten Selbstbildnis mit Saskia, das die beiden wie in einem Spiegel fasst; Saskia im Krankenbett, fragenden Blickes festgehalten wie in einer Momentaufnahme, mit der Feder rasch skizziert und dem Pinsel, großzügig lavierend, zu einem Bild gefügt.


Rembrandt, Saskia im Bett, um 1638, Feder und Pinsel in Eisengallustinte, laviert, weiße Kreide, 150 x 140 mm, © SKD, Kupferstich-Kabinett Dresden, Foto: Herbert Boswank

Das Dresdener Kabinett bewahrt eine der bedeutendsten Sammlungen von Graphiken und Zeichnungen Rembrandts und konnte für diese Ausstellung aus dem Vollen schöpfen. Glückliche nationale und internationale Leihgaben ergänzen dort, wo Lücken im Werk sinnvoll zu schließen waren.

Dass die Berliner Silberstiftzeichnung, die in Dresden die „Mona Lisa der Zeichnung“ genannt wird, überhaupt reisen durfte, zeugt von dem großen Verständnis für die Konzeption dieser Ausstellung in Fachkreisen.


Warum gabst du uns die tiefen Blicke


Die Federzeichnung „Diana und Aktaeon“ gehört zu den Schätzen aus dem Spätwerk. Punktgenau inszenierte Blicke, die töten und grausam Verwandlung in Gang setzen. Man mag bei dem Thema über keusches und unkeusches Sehen raisonnieren, wie es in der kunsthistorischen Forschung mit guten Gründen geschehen ist. Zu fassen bekommt man Rembrandts komplexen Blick auf das Thema damit allerdings nur ansatzweise. In der Ausstellung aber, erkennt man diesen in Strich und Spur. Als Rohrfederzeichnung angelegt, konzentriert die Komposition das Thema auf den entscheidenden Moment. Dianas und Aktaeons Blicke treffen einander. Diana, überrascht von seinem Blick, der sie erkennt und damit den Moment seiner Verwandlung auslöst, seine Hunde bereits Begriff, sich gegen ihn zu wenden, um ihn zu zerreißen. Das ist in Rembrandts Handschrift in ebenso groben wie feinen, großzügigen Federstrichen ausgebreitet.


Rembrandt, Diana und Aktaeon, um 1663-65, Feder und Pinsel in Braun, 250 x 350 mm, © SKD, Kupferstich-Kabinett Dresden, Foto: Herbert Boswank



Klaus Heinrich hat das um Emanzipation ringende Subjekt im Horizont der Geschlechterspannung begriffen. Die Ausstellung atmet förmlich Geschlechterspannung in allen ihren Abteilungen: Jupiter & Antiope, Adam & Eva, Aktaeon & Diana, Joseph & Potiphars Frau, Rembrandt & Saskia, Maler & Model, die Reihe ließe sich fortsetzen.

Der Begriff Geschlechterspannung hat aber noch eine weitere Dimension, diejenige über die Geschlechter und, wenn man so möchte, über die Generationen hinweg: Raffael, Tizian & Rembrandt, Rembrandt & Goya, Manet, Beckmann, Kollwitz, Picasso und Kentridge all diese Beziehungsgeflechte fügt die Ausstellung zusammen und vieles von dem, was uns zivilisationsgeschichtlich wertvoll sein sollte, wird hier mit großer Leichtigkeit bewegt.

Eines der zentralen Werke der Abteilung „Strich im Prozess – Radierung und Zeichnung“ ist Rembrandts „Ecce Homo – Christus dem Volk vorgestellt“. Der Blick des Volkes, der tötet, da er über die Kreuzigung entscheidet und damit ebenfalls Verwandlung in Gang setzt, also in christlicher Perspektive Heilsgeschichte begründet, das Kreuzesopfer, das alle weiteren Menschenopfer überflüssig machen soll, wird hier entschieden.

Wie bei „Diana und Aktaeon“ taucht das Thema in Rembrandts Früh- und Spätwerk auf. Hier wie dort zeigt die späteste Fassung die größtmögliche Konzentration auf das Thema. Die Radierplatte ist vielfach über- und durchgearbeitet worden, acht Zustände der Radierung sind erhalten, drei davon ausgestellt.


Rembrandt, Ecce Homo – Christus dem Volk vorgestellt, 1655, Kaltnadel, Zustand VIII (von VIII), 358 x 455 mm, © SKD, Kupferstich-Kabinett Dresden, Foto: Herbert Boswank



Den auch ökonomischen Mehrwert dieser Arbeitsweise in Rembrandts Atelier hat Svetlana Alpers überzeugend dargelegt. Der florierende niederländische Kunstmarkt differenzierte sich zunehmend, Sammlungen entstanden in denen gerade das Besondere geschätzt und dementsprechend bezahlt wurde. Der Druck auf teuren, orientalischen Papieren, wie sie auch für die „Ecce Homo“- Drucke nachgewiesen sind, gehört ebenfalls in diese unternehmerische Strategie, ohne damit dem gravitätischen Entwurf zum Nachteil zu gereichen.


Schwerer werden. Leichter sein.


Derart beschwert, führt die Ausstellung den Betrachter in die abschließende „Licht und Schatten“-Abteilung. Dort mag er sich vor der „Grablegung“ verneigen und vor Goyas Allegorie der Wahrheit aus den „Desastres de la Guerra“, die ihr beigesellt sind, fragen: „Wird sie wieder auferstehen?“; unweit aber auch des begehrlichen Jupiter-Blicks auf das Gesäß von Antiope. Diese Radierung aus dem Spätwerk hängt zwar im ersten Raum der Ausstellung in vertrauter mythologischer Umgebung, hier aber erscheinen Jupiter und Antiope auf zwei großen Ausstellungsfahnen, die sie überlebensgroß repräsentieren und einen Akzent auf den erotischen Winkel der Ausstellung legen, in dem Blätter wie „Der Mönch im Kornfeld“, „Das Paar im Bett“ oder „Joseph und Potiphars Frau“ zu finden sind. Ausgewählte Akzente dieser Art finden sich in allen Abteilungen der Ausstellung.

Goyas „Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer“ aus den Caprichos, ist an das Ende des Rundgangs gesetzt. Das Blatt flankiert zur rechten den von Goethe sogenannten Rembrandtschen Faust, den zur linken eine korrespondierende Beckmann-Zeichnung aus dessen Faust II Bearbeitung begleitet. In Betrachtung von Goyas gravitätischem Alp entlastet den Betrachter Rembrandts Radierung „Die pissende Frau“ im Rücken. Möglicherweise ist diese drastische Darstellung im 17. Jahrhundert nicht ohne einen Gedanken an den Sündenfall, also die Pissende als gefallene Eva, zu begreifen. Zu sehen aber ist nach wie vor nur eine Hockende, die sich den Rock gerafft hat und in von Rembrandt fein gesetzten Strichen, mit viel Licht und Schatten, Erleichterung verschafft. Wolfgang Kemps rezeptionstheoretische Formel vom Betrachter im Bild ist wohl selten in einer Ausstellung balancierter in Szene gesetzt worden.

Ich überblicke den ganzen, diesjährigen Gedenkzauber aus Anlass des 350- jährigen Todesjahres, der auch der Dresdener Ausstellung Anlass gab, nicht. Die den Werken nach aber wohl bedeutendste Rembrandt Ausstellung der letzten 25 Jahre zeigte 2014/15 das Spätwerk in London und Amsterdam. Sie war monumental, wenn auch in sehr feiner Weise, wie Rembrandts Spätwerk nun einmal ist. Mit Fug und Recht ist sie daher als Jahrhundertausstellung bezeichnet worden. Die Entwicklung von Rembrandts Strich und damit der Blick auf den lebendigen künstlerischen Prozess, der dieses Spätwerk möglich gemacht hat, war nicht ihr Gegenstand. Das liefert nun die Dresdener Ausstellung im Durchgang durch das ganze Werk, soweit wir es kennen können. Rembrandts künstlerischer Kern wird hier in Strich und Spur in der Entwicklung nachvollzogen und vorgestellt. Und das mit einer Blickregie, die ihresgleichen sucht. Kein Ort in der Ausstellung, der sich nicht sinnvoll fügen würde, kein Blick, der nicht balanciert wäre oder unerkannt bliebe.

Was Stephanie Buck und ihr Team da vorgestellt hat, ist so vorzüglich, dass man es zumindest auf der Kandidatenliste für die Ausstellung des Jahres 2019 wiederfinden möchte. Ich erinnere nicht, eine gleichermaßen erkenntnisreiche, intelligente und sensible Ausstellung gesehen zu haben, die einen derartigen Wirkungsbogen gespannt und durchdekliniert hätte.

Im Rücken der Briefmarkensammlung werden im wöchentlichen Wechsel zudem diejenigen Dresdener Zeichnungen präsentiert, die in der Ausstellung keinen Platz gefunden haben, darunter so illustre Blätter wie die Ganymed-Zeichnung. Im angrenzenden Laboratorium können Faksimile dieser Zeichnungen in die Hand genommen werden, die im Studiensaal des Kupferstich-Kabinetts im Gespräch mit einem Mitarbeiter auch im Original zugänglich sind. Bücher zum Thema und zwei Bildschirme laden dazu ein, in die Strichgefüge Rembrandtscher Prägung digital weiter einzutauchen. Der exzellente Katalog entfaltet das Ausstellungskonzept und bietet neue Forschungsergebnisse.


IN WHOSE LAP DO I LIE


„In welchem Schoß liege ich eigentlich“, fragt der Protagonist in Kentridges Arbeit „Weighing … and Wanting“, „Balancieren … und Begehren“ von 1997-98. Sie besteht aus zwei Zeichnungen und einem Film; zusammen ein Tryptichon.

Mit guten Gründen wird die Arbeit in der Ausstellung getrennt präsentiert, ihre Ausmaße hätten die Akzente verschoben.


Soho – head on Rock, Filmstill aus: William Kentridge, Weighing … and Wanting, 1997-98, Courtesy William Kentridge and Goodman Gallery

Der Film ist in einem separaten, abgedunkelten Kabinett, hinter der Abteilung „Rembrandt & Saskia“ zu sehen, die beiden Zeichnungen am Übergang der beiden Abteilungen „Strich im Prozess – Radierung und Zeichnung“ und „Licht und Schatten“.

Der Film thematisiert einen Protagonisten im Konflikt, mit sich selbst, mit einer Frau, mit der industriellen Landnahme in Südafrika, musikalisch untermalt von Phillip Miller. Die Kohle-Pastell-Zeichnungen zeigen zwei Papierarbeiten, die zugleich Grundbausteine des animierten Filmbildes sind: einen Stein, der aus dem Berge getreten ist und einen Querschnitt durch einen Kopf im Profil. Wie in Rembrandts Radierplatten liegen hier Arbeitsspuren über Arbeitsspuren.

Die beiden großformatigen Zeichnungen besetzen in Sichtweite des „Hundertguldenblattes“ und gegenüber von der „Grablegung“ und den beiden Blättern aus Goyas „Desastres de la Guerra“ einen ausgemacht prominenten Platz. Kentridge wird es daher verschmerzen, dass sein Werk auseinandergerissen worden ist. Wohl eingebettet in diese Kontexte, entfaltet seine Arbeit auch in dieser Präsentation eine wunderbare Wirkung.


An dieser Hängung wird noch einmal der kraftvolle und sichere Gestaltungswille der Ausstellungsmacher deutlich: ihre Eingriffe überschreiten konservatorische und ästhetische Präsentationsstandards in einer Weise, die die Ausstellung selbst zu einer ArtInstallationwerden lassen. Nach Anselm Haverkamp wäre der Begriff der Installation

„ein nachgerade rezeptionsästhetischer Nenner, der die alte Betrachterallegorie der impliziten Rezeptionsweisen in eine technische Konstellation überführte, zurücknähme, überböte“.

So zu sehen, wohl balanciert, in der Ausstellung „Rembrandts Strich“.

Wenn überhaupt Wünsche wach werden, das dort zu Sehende noch zu überbieten, dann vermessene, in die Vorgeschichte dessen, was uns hier vorführt wird, weisende: Dürers Silberstiftzeichnung „Selbstbildnis des Dreizehnjährigen“ aus der Wiener Albertina in Sichtweite von Saskias Silberstiftzeichnung, dazu Raffaels gezeichnetes Selbstportrait aus dem Ashmolean Museum in Oxford als Bindeglied zur Briefmarkensammlung oder Tizians Zeichnung „ Paar in Umarmung“ aus dem Fitzwilliam Museum in Cambridge im erotischen Teil der „Licht und Schatten“-Abteilung.

Wir dürfen auch auf die kommenden Ausstellungs-Installationenim Dresdener Kupferstich-Kabinett sehr gespannt sein.



Tilman Lingesleben

Der Katalog zur Ausstellung ist in deutscher und englischer Sprache bei Paul Holberton Publishing erschienen: clicken Sie hier

Im Museumsshop der SKD ist er derzeit für 29,50 Euro erhältlich. Die deutsche ISBN-Nummer lautet: ISBN: 978-1-911300-63-2. Die englische Version wäre unter der ISBN-Nr. 978-1-911300-62-5 bestellbar.

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